Leitlinie Asbesterkundung - 1. Auflage 2020
Hintergrund | Rechtliche Einordnung | Pflichten für die Baubranche
Und plötzlich ist Sie da: Eine "Leitlinie" zur Asbesterkundung bei Bestandsgebäuden. Wie ist diese Leitlinie einzuordnen und was müssen Bauherren, Handwerker und Planer jetzt beachten?
Soviel Vorweg: Wir haben Fragen. Viele Fragen. Einen Überblick inklusive kurzer Zusammenfassung lesen Sie in diesem Beitrag.
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat zusammen mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) sowie dem Umweltbundesamt (UBA) eine Leitlinie für die Asbesterkundung zur Vorbereitung von Arbeiten in und an älteren Gebäuden entworfen. Veröffentlicht wurde die Leitlinie im April 2020 auf der Internetseite der BAuA.
Die Kurzversion: Die Leitlinie soll als Planungshilfe für alle Arbeiten und Tätigkeiten dienen, bei denen Asbest in einem Gebäude vermutet oder nachgewiesen wurde und bei denen Bauteile, die Asbest enthalten könnten, bearbeitet oder entfernt werden. Jedoch wird im Rahmen der Vorbemerkungen explizit darauf hingewiesen, dass die Leitlinie keinen normativen oder gesetzlichen, sondern eher einen empfehlenden Charakter aufweist. Es werden allgemeine Informationen zum Thema Asbest gegeben. Unter anderem ist eine "Schritt-für-Schritt"-Matrix enthalten, womit man anhand eines Handlungsfahrplans bei der Asbesterkundung vorgehen kann.
Leitlinie zur Asbesterkundung im Wortlaut als Download
Leitlinie für die Asbesterkundung zur Vorbereitung von Arbeiten in und an älteren Gebäuden.
1. Auflage: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und Umweltbundesamt (UBA) 2020 (pdf - 29 Seiten)
Hintergrund der Leitlinie zur Asbesterkundung
in den letzten Jahren wurde das Thema Asbest heiß diskutiert. So haben in der Bundesrepublik gemäß dem aktuellen "nationalen Asbestprofil Deutschland" (2. überarbeitete Auflage 2020) rund 750.000 Personen Umgang mit asbesthaltigen Produkten (statistisches Bundesamt - 2019; vgl. Tab. 6.2). Die Dunkelziffer? Vermutlich deutlich höher. Jedes Jahr sterben in Deutschland immer noch Tausende Arbeiter an den Folgen einer berufsbedingten Asbesterkrankung. Auch hier die Frage nach der Dunkelziffer: Sie ahnen es bereits.
Etwa 84 % des aktuellen Wohngebäudebestandes wurden vor 1993 errichtet. Etwa 90% des Rohasbestes ist für Bauprodukte verwendet worden (BBSR 2011; BG Bau, 2008). Von ca. 3500 Produkten, die aus Asbest in Deutschland hergestellt wurden, wurde ein großer Teil in Industrie- und Wohngebäuden eingebaut. Man geht davon aus, dass in etwa 25% der Gebäude asbesthaltige Baustoffe anzutreffen sind.
Der nationale Asbestdialog hat die vorgenannten Zahlen aufgriffen und vereint einen Großteil der betroffenen Branchenverbände, Institutionen und öffentlichen Instanzen um neben einer Sensibilisierung aller am Bau Beteiligten für Risiken durch die bislang wenig beachteten Asbest-Altlasten in Klebern, Putzen und Spachtelmassen auch eine Diskussionsplattform für Bewohner, Nutzer, Mieter und die am Bau Beschäftigten rund um die Risiken des hoch krebserregenden Gefahrstoffes zu erreichen.
Ziel des nationalen Asbestdialoges soll es sein, in einem transparenten, ergebnisoffenen Prozess Themen wie Sensibilisierung und Aufklärung, Erkundung und Anforderungen bei den relevanten Tätigkeiten genauso wie Fragen der Optimierung von Rechtsetzung und Vollzug zu diskutieren um hieraus konkrete Ergebnisse ableiten zu können.
Unter anderem wurde nunmehr im Rahmen der Aufklärung und Erkundung die "Leitlinie für die Asbesterkundung zur Vorbereitung von Arbeiten in und an älteren Gebäuden" herausgegeben.
Unsicherheit & Irritation bei der rechtlichen Einordnung der Leitlinie
"Die folgende Leitlinie richtet sich an alle diejenigen, die Baumaßnahmen planen bzw. durchführen und mit einer Erkundung von Asbest in Gebäuden konfrontiert werden". So lautet der erste Satz in der Vorbemerkung zur Leitlinie. Weiter heißt es, dass mit dieser Leitlinie dem Privatmann eine Entscheidungshilfe zur Seite gestellt wird und darüber hinaus dem Sachverständigen außerdem eine Hilfestellung angeboten wird, wie bei der Erkundung und Sanierung vorzugehen ist.
Wie Eingangs bereits erwähnt, wirft unserer Ansicht nach die Leitlinie zur Asbesterkundung insbesondere für den Laien durchaus Fragestellungen auf: Ist es doch die Kombination aus einem einerseits empfehlenden, rechtlich nicht verbindlichem Dokument und andererseits klaren Aussagen, welche indirekt mit gesetzlichen Vorgaben unterstrichen werden, welche den Leser an manchen Stellen Irritiert zurücklässt.
Nachfolgend ein Beispiel:
Auf Seite 14 der Leitlinie heißt es: "... Nach dem aktuellen Rechtsstand kann keine Verpflichtung abgeleitet werden, in jedem Fall im Rahmen einer Erkundung Beprobungen vorzunehmen. Die Anforderungen des Arbeitsschutzes und des Abfallrechts können auch als erfüllt gelten, wenn grundsätzlich von asbesthaltigen Bauteilen in den betroffenen Arbeitsbereichen ausgegangen wird. ...". Auf Seite 5 der Leitlinie wird in diesem Zusammenhang zudem das Wort "Beweislastumkehr" verwendet (Bedeutung: Es ist von Asbest auszugehen, sofern nicht das Gegenteil bewiesen wird). Denken wir diese Aussagen, welche dem Laien als Hilfestellung dienen sollen, einmal zu Ende, so kommen unweigerlich diverse Fragen auf:
Was bedeutet das in der Praxis? Besteht nun für sämtliche Bestandsgebäude (Errichtung vor Oktober 1993) ein asbesttechnischer Generalverdacht? Darf nun der Laie (für den ist diese Leitlinie primär entwickelt wurde laut Vorbemerkung) kein Loch mehr in die Wand bohren ohne vorher durch einen Sachverständigen feststellen zu lassen, ob Asbest enthalten ist? Kann er selbst ein emissionsarmes Verfahren (vgl. Seite 15 Schritt B) - Punkt 2) verwenden? Darf er das überhaupt? Wenn er ein emissionsarmes Verfahren verwendet (konkret siehe BT-30-Verfahren >>), muss er das entsprechende Equipment vorweisen oder reicht der Hausstaubsauger aus (vgl. Seite 25 Leitlinie)? Was ist überhaupt ein emissionsarmes Verfahren? Was bedeutet "größerer Staubanfall" (vgl. Seite 25 Leitlinie)? Ab 5 (?!) Löchern ist sodann ein Industriesauger der Staubklasse M (gemäß BT-30-Verfahren: Eigtl. Staubklasse H! - vgl. hierzu Anlage 7.2 TRGS 519 >>) zu verwenden?
Emissionsarme Verfahren gehen für Unternehmen nach jetzigem Stand der Technik (vgl. TRGS 519 i.V. mit GefStoffV & DGUV 201-012 - BT-30) mit entsprechenden Qualifikationen, organisatorischen Schutzmaßnahmen und teils erheblichen, betrieblichen Investitionen einher. Kann die Privatperson nach Lesart also auf einen Großteil dieser Anforderungen verzichten, obwohl sie grundsätzlich die gleichen, rechtlichen Verpflichtungen (vgl. z.B. Seite 18 Leitlinie) haben wie Unternehmen (vgl. z.B. MBO, BGB, BaustellV, GefStoffV, usw.)?
Zugegeben: Die vorgenannten Fragen sind spitz gestellt und lassen die Leitlinie schlechter dastehen, als sie ist. Jedoch muss an dieser Stelle eine grundsätzliche Frage erlaubt sein:
Was soll mit der Leitlinie zur Asbesterkundung eigentlich genau erreicht werden? Leicht zu verstehende Informationen für den Laien bei gleichzeitigem Verweis und Bezug auf hochkomplexe und umfangreiche Regelwerke, Verordnungen und Normen (insgesamt 30 Fußnoten!)?
Diese Leitlinie zur Asbesterkundung hat keinen normativen bzw. gesetzlich verbindlichen Charakter. Mit ihr werden keine bauordnungsrechtlichen oder arbeitsschutzrechtlichen Entscheidungen getroffen. Weiterhin erhebt Sie auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, um z.B. als Vorlage zu einer allgemein anerkannten Regel der Technik zu gelten. Vielmehr stellt Sie im Rahmen diverser Rechtsvorschriften (GefStoffV, TRGS 519, LAGA 23, VDI-Rili's, usw.), welche sich im Übrigen derzeit allesamt im Fluss befinden, ein zusammenfassendes, empfehlendes Werk zur Erkundung im Bestand dar, welches sukzessive an die konkreten Vorschriften angepasst werden soll. Diese erste Version der Leitlinie zur Asbesterkundung stellt somit kein endgültiges Werk dar, sondern wird zukünftig die Ergebnisse der einschlägigen Rechtsvorschriften und technischen Regeln im Zusammenhang mit der Erkundung und Beprobung berücksichtigen und darlegen.
Unsere Meinung: Arbeiten an asbesthaltigen Bauteilen überlässt man Profis. Es müssen rechtsverbindliche, glasklare und bauordnungsrechtlich verankerte Verpflichtungen für Veranlasser einer Baumaßnahme eingeführt werden, die jeglichen Beteiligten nachvollziehbare Pflichten zuweißt. Das ist im (politischen) Prozess kompliziert aber im Ergebnis wirksamer als eine Leitlinie für Laien. Diese erste Version der Leitlinie greift, wie schon die neue TRGS 519 >> der Novellierung der Gefahrstoffverordnung, den eigentlichen gesetzlichen bzw. normativen Regelungen zuvor. Aus Sicht der Planer und Handwerker kann diese Leitlinie gegenüber dem Auftraggeber ein gutes Instrument zur Information und Sensibilisierung zum Thema Asbest sein. Insbesondere dann, wenn es darum geht, notwendigen Mehraufwand (mit entsprechenden Kosten!) zu kommunizieren.
Ansatz des schrittweisen Vorgehens bei der Asbesterkundung
Ein Kern der Leitlinie zur Asbesterkundung bildet die Matrix zum schrittweisen Vorgehen bei der Asbesterkundung im Vorfeld einer geplanten Baumaßnahme (vgl. Seite 17 Leitlinie).
Ziel dieser Matrix ist eine Art Leitfaden für alle am Bau Beteiligten zur Verfügung zu stellen. Auf die Systematik gehen wir an dieser Stelle nicht weiter ein. Im großen und ganzen kann diese zumindest für den Sachkundigen nach TRGS 519 gut nachvollzogen werden.
Die Grundaussage lautet: Sofern das Bauteil bzw. das Gebäude vor dem 31.10.1993 (Asbestverbot in Deutschland) errichtet worden ist, muss von Asbest ausgegangen werden! Findet dann ein Eingriff in das Bauteil (Bohren, Fräsen, Abbruch, Sanierung, etc.) statt, muss entweder beprobt werden (Asbest vorhanden ja oder nein?) oder es sind direkt sämtliche Schutzmaßnahmen gemäß TRGS 519 zu treffen.
Ist diese Vorgehensweise nun rechtlich bindend? Falls ja, wäre das als ein kleines Erdbeben in der Baubranche zu bezeichnen. In der Leitlinie heißt es dazu: "... Veranlasser kommen mit einer Asbesterkundung verschiedenen rechtlichen Verpflichtungen nach: ..." (diverse Rechtsvorschriften werden nachfolgend zitiert). Eine offensichtliche Verpflichtung zur Erkundung und Beprobung - unabhängig ob nun Auftraggeber oder Auftragnehmer - resultiert also aus bestehenden Rechtsvorschriften, welche bereits lange vor der Veröffentlichung der Leitlinie gültig waren? Streng genommen: Ja! Es wusste nur niemand bzw. es hat bisher nur sehr wenige wirklich interessiert. An dieser Stelle also ein Lob: Endlich steht es mal - wenn auch "nur" in einer Leitlinie - schwarz auf weiß geschrieben.
Was bedeutet das für die Baubranche?
Die öffentliche Hand macht es im Rahmen von Ausschreibungen zum Teil bereits vor: Es wird kein einziges Loch mehr in eine Wand gebohrt (Gebäude vor 1993) wenn nicht entweder im Rahmen eines Schadstoffkatasters eine Asbestfreiheit eben dieser Wand bescheinigt wurde oder die betreffende Firma eine Sachkunde nach TRGS 519 >> inne hat und entsprechende Schutzmaßnahmen umsetzt. Diese Vorgehensweise der öffentlichen Hand wird derzeit spürbar mehr. Die Leitlinie zur Asbesterkundung unterstreicht diesen Umgang mit dem hochkrebserregenden Mineral und ist als klares Signal zu verstehen, wo die Reise in der Asbestwelt hingehen wird.
Die Baubranche wird sich mit der Thematik zwangsläufig beschäftigen müssen. Eine Verantwortung seitens des Arbeitgebers bestand zwar immer schon, jedoch bisher z.T. nur sehr schwammig und indirekt. Entscheidend im ersten Schritt ist vor allem die Qualifizierung der Betriebe. Nur wer sich mit der Thematik auskennt kann in der Praxis die richtigen Entscheidungen treffen und Bauherren korrekt beraten und sensibilisieren.
In naher Zukunft werden sich diverse Rechtsvorschriften wie zum Beispiel die Gefahrstoffverordnung, in der die Asbestthematik einen komplett eigenen Abschnitt bekommen wird, ändern. Hier wird es unter anderem auch zu rechtsverbindlichen Verpflichtungen seitens des Veranlassers kommen. Auch das Abfall- und Deponierecht sowie in diesem Zusammenhang die LAGA 23 >> befinden sich derzeit im Fluss und werden beim Thema Asbest strikter und klarer.
Die Richtung ist also klar: Das Thema kommt aus aus der Nische raus und wird nun - fast 30 Jahre nach dem Asbestverbot - ernsthaft angegangen.
Wie bereits im Rahmen der neuen TRGS 519 >> festgehalten: Es passiert derzeit viel in der Asbestwelt. Wir meinen: Gut, richtig und wichtig! Entscheidend bei allen Anstrengungen wird eine Sache sein: Der Gesundheitsschutz aller Beteiligten muss wirksam verbessert werden. Die Alternative? Erst der Opa dann der Enkel. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
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